Unterricht

Das Unterrichtskonzept unserer Schule basiert auf den beiden wesentlichen pädagogischen Merkmalen des individualisierten und jahrgangsübergreifenden Lernens. Was spricht für dieses Konzept und was versprechen wir uns davon?

Unterricht, wie die meisten ihn noch aus der eigenen Schulzeit kennen, ist darauf angelegt, in einer recht homogenen Lerngruppe dieselben Lerninhalte zur gleichen Zeit für alle Schülerinnen und Schüler zu vermitteln. Dieses gleichschrittige Lernen wird dann zunehmend schwierig, wenn die Lerngruppe sich in ihren Voraussetzungen unterscheidet, sodass nicht mehr alle zur gleichen Zeit die gleichen abstrakten Inhalte erlernen können: Dann gibt es einerseits Kinder, die sich langweilen, und gleichermaßen Kinder, die überfordert sind. Nur für eine Durchschnittsgröße der Lerngruppe sind die vermittelten Lerninhalte passend zu ihrem aktuellen Leistungsvermögen. Diese “Durchschnitts-Mitte” wird mit der zunehmenden Heterogenität in unserer aktuellen pluralen Gesellschaft auch in den Klassen immer kleiner, die Vielfalt in der Schülerschaft nimmt zu. Mit der vorherrschenden Heterogenität produktiv umzugehen, gilt als eine der  aktuellen Herausforderungen im Bildungssystem. Darüber hinaus ist Unterricht in der heutigen Zeit sogar dazu verpflichtet, individuell auf die Lernbedürfnisse der Kinder einzugehen: Das Recht auf individuelle Förderung ist in Paragraph 1 des Schulgesetzes fest verankert. Sowohl die veränderten Unterrichtsvoraussetzungen als auch die Anforderungen an den heutigen Unterricht erfordern also ein verändertes Unterrichtskonzept.

Im Folgenden werden die beiden pädagogischen Grundideen des individualisierten und des jahrgangsübergreifenden Lernens näher erläutert, so wie wir sie an der Grundschule St. Michael verstehen und umsetzen. Die grundlegende Idee der Verzahnung beider Elemente besteht darin, individuelles Lernen in einer Lerngruppe zu ermöglichen, die bewusst heterogen gestaltet ist, um einerseits den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden und andererseits das Potenzial der großen Vielfalt in der Klasse produktiv zu nutzen.

Individualisiertes Lernen

„Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten, ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die (…) alles nach einer Schnur zu hobeln veranlassen.“


(Herbart, 1808)

 

Schon vor über 200 Jahren hat der Philosoph und Psychologe Johann Friedrich Herbart die Schwierigkeit erkannt und gleichermaßen auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass Schule die Individualität der Schülerinnen und Schüler und die damit verbundene Heterogenität innerhalb einer Lerngruppe aufgreifen muss. Ein Unterricht, der an der gesamten Lerngruppe orientiert ist, wird kaum mehr jedem einzelnen Kind gerecht. Stattdessen soll jedes Kind von seinem aktuellen Wissensstand aus gefördert werden.

Konkretisiert bedeutet individualisiertes Lernen für uns…

 

  • … „jeder Schülerin und jedem Schüler die Chance zu geben, ihr bzw. sein motorisches, intellektuelles, emotionales und soziales Potenzial umfassend zu entwickeln und sie bzw. ihn dabei durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.“
    (Meyer, 2011)

 

  • … „eine gezielte Anpassung des schulischen Lernangebots an die individuellen
    Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler“
    (Fischer, 2014)

 

  • … das Lernpotenzial aller Kinder auszuschöpfen und den individuell unterschiedlichen Lernvoraussetzungen Rechnung tragen
    (vgl. Helmke, 2011)

 

  • … „alle Handlungen von Lehrerinnen und Lehrern und von Schülerinnen und Schülern (…), die mit der Intention erfolgen bzw. die Wirkung haben, das Lernen der einzelnen Schülerin / des einzelnen Schülers unter Berücksichtigung ihrer / seiner spezifischen Lernvoraussetzungen, -bedürfnisse, -wege, -ziele und -möglichkeiten zu unterstützen.“
    (Kunze, 2008)

 

Individualisierung von Unterricht geht einher mit einer Öffnung des Unterrichts, was bedeutet, dass „der Lehrer den Kindern zunehmend mehr Freiraum bei der Auswahl der Arbeitsform, Methoden und Inhalte geben soll und dass das selbsttätige Lernen im Mittelpunkt stehen soll.” (Grunefeld & Schmolke 2011). Das Unterrichtskonzept an der Grundschule St. Michael in den Fächern Mathematik und Deutsch orientiert sich an dem praxiserprobten Jahreskonzept „Individuelles Lernen mit System” nach Grunefeld und Schmolke (2011).

Dabei gibt es für die Lerninhalte und zu erreichenden Kompetenzen eines jeden Schuljahres Jahresarbeitspläne, die in unterschiedlich farbige Teilarbeitspläne unterteilt sind. Die Teilarbeitspläne umfassen einen überschaubaren Lernbereich, der sowohl die zugehörigen Seiten des entsprechenden Lehrwerks als auch die Bearbeitung von speziellen Lernmaterialien, die in Regalen im Klassenraum stehen, beinhalten. Jedes Kind dokumentiert in seinem „Planheft“ den Lernfortschritt. Wenn ein Kind einen Teilarbeitsplan beendet hat, absolviert es eine „Prüfung“ und beginnt mit dem nächsten Lernbereich in seinem Lerntempo, ohne dass es auf andere Lernende warten muss. Die Kinder können so eigene Lernschwerpunkte setzen und ihren Lernprozess selbst (mit)steuern, wodurch sie schon früh Eigenverantwortung für ihr Lernen übernehmen.

 

Bei allen Individualisierungsbemühungen ist es wichtig, dass es in der Klasse nicht zu einem reinen „Nebeneinanderher-Lernen” kommt, sondern auch das Gemeinschaftliche im Fokus steht (Klafki 2007). An diesem Punkt knüpft das Potenzial des jahrgangsübergreifenden Lernens an, das im Folgenden näher beschrieben wird.

Jahrgangsübergreifendes Lernen

Die Voraussetzungen der Kinder haben sich also so verändert, dass man von keinen homogenen Lerngruppen mehr sprechen kann, auch dann nicht, wenn man nur einen Jahrgang betrachtet. Vor diesem Hintergrund gewinnt das jahrgangsübergreifende Lernen an Bedeutung. Wenn der Unterricht sowieso eine individualisierte Arbeitsweise der Kinder ermöglicht, gibt es keine Notwendigkeit mehr, eine möglichst homogene Lerngruppe zu generieren. Ganz bewusst wird stattdessen die Vielfalt in den Klassen vergrößert, um die damit verbundenen Chancen zu nutzen.

An unserer Schule lernen die Kinder in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen. Das bedeutet, dass in jede Klasse in etwa gleich viele Kinder unterschiedlichen Alters gehen. Unsere 8 Klassen tragen die Namen von Singvögeln, sodass die Amselklasse beispielsweise aus je 6 Kindern der ersten, zweiten und dritten Klasse und 7 Kindern der vierten Klasse besteht. Am Ende eines Schuljahres verlassen die Viertklässlerinnen und Viertklässler die Schule und neue Erstklässlerinnen und Erstklässler rücken nach, sodass der Großteil der Klasse beständig bleibt.

In diesem Klassenverband werden die Kinder in den meisten Fächern gemeinsam unterrichtet. Der Unterricht ist dabei auf die verschiedenen Lernpotenziale der Kinder ausgerichtet und muss daher auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sein (s. Punkt “individualisiertes Lernen”). Darüber hinaus gibt es in den Hauptfächern auch einzelne Stunden jahrgangsbezogenen Unterricht, um den Kindern einer Jahrgangsstufe gezielt grundlegende Informationen zu vermitteln und wichtige Lerninhalte zu wiederholen oder zu vertiefen.

Das individualisierte Unterrichtskonzept profitiert sehr von der Jahrgangsmischung. Den Kindern ist das Prinzip der Jahrgangsmischung schon aus dem familiären Kontext oder der KiTa bekannt, entspricht es doch der eigentlich natürlichen Sozialstruktur in Gruppen. Die erfahrenen Schülerinnen und Schüler können die jüngeren Kinder nicht nur bei der methodischen Arbeit mit den Arbeitsplänen unterstützen, sondern ihnen auch inhaltlich helfen. Das wiederum fördert die Selbstwirksamkeit der älteren Schülerinnen und Schüler und dient der Festigung und Wiederholung bereits erlernter Inhalte. Jedes Kind kann dabei sowohl die Rolle des Helfenden als auch des Hilfesuchenden einnehmen, so kann bspw. auch ein schwacher Zweitklässler einer Erstklässlerin etwas erklären. Darüber hinaus ermöglicht es der Unterricht, dass die Kinder sowohl schon an den Inhalten der höheren Jahrgangsstufen “schnuppern”, als auch bekannte Inhalte nochmals wiederholen können. Die Schuljahresgrenzen werden auf diese Weise “aufgeweicht”, indem Schülerinnen und Schüler schon früher oder etwas später mit dem “Stoff” für das nächste Schuljahr beginnen können, es gelingt insgesamt leichter, Übergänge (insbesondere für Wiederholer) zu gestalten. Der Unterricht verfolgt das Ziel, dass die Kinder es als selbstverständlich erleben, dass alle Kinder unterschiedlich sind, was auch das Lernen umschließt.

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